Verhauer Rätikon

Nachdem wir die Klassiker und einige der nachweislich guten Routen geklettert hatten, waren wir 2008 wieder mal im Rätikon unterwegs. Was wir dort antrafen - nicht zuletzt dank grottenschlechter Führerliteratur - schokierte nicht nur uns, sondern auch andere anwesende Kletterer, die ein ums andere Mal “abgeprechtelt” sind. Doch eins nach dem anderen:

 

“Sabra” 

1. Seillänge statt VII eher VIII-; 2. SL statt VIII- eher VIII; 3. SL sehr splittrig und schlecht absicherbar (VI); 4. SL völlig hirnlos gesetzte Bohrhaken auf Platten; 5 SL. am kaputtgestürzten Haken abgebaut, da die folgende Passage für kleinere Kletterer sicher im oberen VIII. Grad (evtl. noch höher) anzusiedeln ist und beim Anklettern des nächsten Hakens die Gefahr eines Plattengrounders doch recht hoch ist. Danach dürfte es allerdings deutlich angenehmer werden...

 

“Mangold” 

Im Führer und von einigen Locals als eine der besten Rätikontouren hochgelobt! Die Zustiegsfindung ist schon nicht ganz einfach, im Führer falsch beschrieben und die angegebene Zeit völlig untertrieben. Erste Seillänge statt VI- ca. VII-/VII (Umgehung 20 m weiter links durch Bruchrinne möglich). Am nächsten Band wurden rechts die Initialen der Tour eingehämmert. Was dann folgt sind derbste, steile Plattenschleicher mit abschüssigen Dellen, Käntchen etc. bei teilweise 7-10 Meter Hakenabständen. Oben solls angeblich etwas steiler und griffiger werden. Für Kletterer die sich auf Platten unwohl fühlen, dürfte die Tour die Erwartungen nicht erfüllen und nicht ganz ungefährlich sein.

 

“Konflikt” 

Wer nach IIer Gelände in der ersten Seillänge sucht, kann sich schnell mal verhauen. Die Tour startet auf dem Absatz bei einem Bohrhaken und wird vorzugsweise über den halbwegs festen Fels von links (statt rechts!) erreicht (IV-V). Danach ist erstaunlicherweise im VIer-Gelände alle 1-2 Meter ein Bohrhaken, gefolgt von einem heiklen runout zum Stand. Sozusagen zum Inschwungbringen der Psyche. Eine “IIer Schrofenlänge” - und dann geht die Post ab. Ab hier zeigten die Erstbegeher ihr wahres Gesicht und erinnerten sich wahrscheinlich an die Rätikon-Ethik, dass bei einem Sturz mindestens ein Krankenhausaufenthalt drin sein muss. Für kleinere Kletterer sehr undankbare und unangenehme Hakenabstände. Sind weitere Seilschaften in der Tour hagelt es ganz ordentlich. Steinschlag in den Schrofenpassagen ist fast unvermeidbar.

 

“Intifada” 

Hier haben wir nur die Infos von Wiederholern, die in der 3. SL auf der VIIer-Platte mit 3 Haken auf 40 Metern zur Gesundheitsvorsorge abgebaut haben. Die Schwierigkeiten dürften hier ebenfalls deutlich untertrieben sein. Übrigens wird anscheinend die erste Länge von allen auf der rechts daneben verlaufenden “Lillith” umgangen und die letzte Quergangslänge ausgelassen. Was das soll? Hat man dann etwa die Tour geklettert?

 

Email von Basti aus Südtirol (August 2011): 

Hi liebes Topoguide-Team,

erstmal ein dickes Lob für Eure Topos und Beschreibungen - erspart sicher vielen Kletterern jede Menge Ärger...

Hier noch ein paar Anmerkungen zur Intifada:

 

Wir haben den Originaleinstieg geklettert - wie alle anderen, die die Tour gemacht haben, auch... (keine Umgehung über Lilith...)

Die Passage in der 3. SL ist besser gesichert als man denkt - nach einem Fixkeil kommt relativ weit links ein versteckter Bolt, bevor's dann nach rechts zu einer SU Schlinge geht...

Ansonsten ist die Route zwar Anspruchsvoll, die Bewertung streng aber angemessen... (Bewertung ist halt immer relativ...) Felsqualität ist top, die erste Länge ziemlich glatt, dann genialer, rauher und steiler Fels...

 

Chly Venedig - “Rialto” 

Resterschließung auf Platten und Grasschrofen mit weiten Hakenabständen. Plaisir-Kletterer sollten dem angegebenen Schwierigkeitsgrad gut gewachsen sein! Wohl nur etwas für ausgesprochene Plattenliebhaber.

 

Dazu hat uns Tilman Steinert eine Mail geschrieben:

 

Hallo, eure Verhauerliste ist sehr instruktiv und die Kritik an untertriebenen Schwierigkeitsbewertungen und fehlenden Klettermetern sehr löblich. Ob ihr aber nicht doch ein bisschen zu weit geht manchmal? Ich kenne von den Routen nur die Rialto im Rätikon, der ich nach eurer Beschreibung keinen Blick widmen würde. Tatsächlich fand ich sie vor zwei Jahren eine der besten Routen in der Gegend, großzügig und imposant über den Pfeiler, mit einigen richtig schönen Kletterstellen und eigentlich kaum richtig schlechten, die Bewertung mit 6b völlig ok.. Auch hinsichtlich der Absicherung fand ich keinen Grund zur Klage – ungleich besser als etwa in den Dolomiten, wo ihr ja reihenweise unterwegs seid.

 

Grüße, Tilman

 

Der Kommentar im Internet soll jedenfalls bedeuten, dass für jemanden, der "nur" den angegebenen Schwierigkeitsgrad drauf hat, das Ganze sicher kein Spaß wird. Es sollte nicht heißen, dass die Schwierigkeitsangaben untertrieben waren. Sollten wir vielleicht noch etwas deutlicher formulieren.

 

Dazu unsere Antwort:

 

Hallo Tilman, ganz allgemein besteht unseres Erachtens ein Riesenunterschied zwischen Absicherung und Absicherbarkeit. 

Auf kompakten Platten wie in der "Rialto" lässt sich mit Friends und Keilen wenig machen und man ist auf die Vernunft der Erstbegeher angewiesen. Ohne entsprechende Vernunft gibt's eben heikle Runouts, zu hoch platzierte Haken oder ähnliches. In den Dolomiten oder im Granit lässt sich dagegen mit eigener Absicherung fast überall eine Menge machen! Das wollten wir im Kletterführer Alpen und Korsika auch deutlich machen, allerdings haben wir dort nur das Wort "Absicherung" gewählt, was vermutlich von den meisten als "vorhandene Absicherung" interpretiert wird. Unter "Read me!" steht aber die Erklärung, dass dies die Kombination aus vorhandenen Haken und selbst-einrichtbarem Material bedeutet! 

Wir verstehen auch nicht, wie in den leichten Seillängen der “Rialto” 6-8 Meter Hakenabstände, mit teilweise (zumindest für kleinere Kletterer) schlecht anzukletternden Haken als gut durchgehen sollen. Der Fels ist verglichen mit anderen Regionen zwar fest, jedoch relativ glatt und bei weitem nicht attraktiv zu klettern. 

In den Dolomiten muss man stark zwischen Klassikern unterscheiden, wo wir als Absicherbarkeit meist "mäßig" vergeben und den neuen Bohrhakentouren, die über besten Fels mit super Absicherung verlaufen. Die Kletterei - einerseits steil und griffig - andererseits plattig ist natürlich Geschmackssache. 

Eines steht jedenfalls fest: Ein Sturz in der “Rialto” geht nicht ohne Verletzung ab, während man z.B. an den steilen Touren am Brunecker Turm fast immer ins Leere fallen würde. Wahrscheinlich auch nicht jedermanns Sache. Wir waren dieses Jahr jedenfalls vom Rätikon bitter enttäuscht. Und auch die anderen Kletterer, die an den Tagen mit uns unterwegs waren, sind reihenweise aus den genannten Touren geflüchtet.

 

Viele Grüße, Nicole & Volker

 

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