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Der König ist tot, lang lebe der König!

Nach fünf langen Wintern war es nun endlich mal wieder soweit. Die Sterne standen günstig für einen längeren Roadtrip nach Spanien. Nach so einem Zeitraum war klar, dass vieles nicht mehr so ist, wie es einmal war. Nicht nur Corona hat die Gesellschaft verändert. Die Kletterer trugen auch einen gewichtigen Teil dazu bei, wie sich Orte veränderten. Margalef zum Beispiel ist so einer: Von Kletterern wieder zum Leben erweckt. Und von Kletterern nahezu "zerstört". Doch eines nach dem anderen.

Wir beginnen unsere "Busreise" wie immer mit einem Zwischenstopp in Südfrankreich. Saint-Bauzille war für mich immer einer dieser Orte, um nach wochenlangem Dauergrau mal wieder frei atmen zu können. Das erste Sonnenlicht beim Aufstehen zu erblicken. Die wärmenden Sonnenstrahlen auf der verblassten Haut zu spüren. So auch dieses Mal. Nur mit dem Unterschied, dass erstens auf dem Klettererparkplatz Übernachtungsgäste nicht mehr gerne gesehen sind - aber wo sind sie das schon...? - und zweitens der Fels inzwischen von Millionen von Kletterern glatt poliert wurde. Weder ein einziges raues Griffchen, noch ein Tropfloch ist übrig. Also schauen wir mal weiter, wie es um Claret bestellt ist. Die bekannten, beliebten Routen hatten zwar schon vor zehn Jahren ihr Speckendstadium erreicht, doch hier und da wurden neue dazu gebohrt und die Kraft reichte nach 6 Wochen Kletterzwangspause sowieso nur für die "leichteren". Trotzdem ein guter Tag, wie ich meine.

Nachdem ich mir ja immer auch mal gerne etwas neues anschaue, haben wir noch einen weiteren Zwischenstopp in Saint-Jean-de-Buèges eingelegt. Ein Gebiet weit abseits jeglicher Massenaufläufe und dementsprechend rauer Fels ließ uns die nicht mehr vorhandene Hornhaut auf den Fingerkuppen schmerzlich vermissen. Ein schöner Ort und nettes Fleckchen Erde. 

Weiter ging die Fahrt, vorbei an den veschneiten Pyrenäengipfeln, nach Col de Nargó. Sinnvollerweise legt man Fahr- oder Ruhetage vorzugsweise auf das Wochenende, um danach dann wieder in aller Ruhe montags kraftvoll zupacken zu können. Die Nacht war kalt, saukalt. Und die Standheizung durfte ihre erste Bewährungsprobe bestehen. Kristallklare Luft und perfekte Temperaturen ließen uns einige tolle Plaisirtouren genießen. Genau richtig zum "warm" werden. Und zur Gewöhnung "ans Gerät".

Dazu bestes Flugwetter, wie man sieht.

Doch auch wenn die Kletterei über dem hübschen Örtchen zu einem längeren Aufenthalt taugen würde, wollte ich schnellstmöglich zum meinen Lieblingsorten und Gebieten nach Margalef und Siurana. Angesichts der Übernachtungsproblematik, die sich schon vor vielen Jahren in Margalef anbahnte, zog ich es vor gleich auf der Hochebene zu übernachten. Denn Spanier nehmen ihr Nachtmahl erst zu einer Zeit ein, wenn Nordeuropäer gewöhnlich ins Bett gehen und Partypeople sorgen danach für das restliche Unterhaltungsprogramm. Wer also ruhig schlafen möchte, geht besser auf abgelegenen Plätzen in "Einzelhaft". Die Menschen und ihr Verhalten werden wir nicht ändern. Man kann sich nur so gut es geht damit arrangieren und Massenansammlungen, wie zum Beispiel am Siuranaparkplatz meiden, sofern man diese nicht mag.

Selbst in Spanien sprechen die aufgestellten Verkehrsschilder inzwischen eine deutliche Sprache. Somit dürfte es deutlich leichter sein, Strafen zu verhängen und durchzusetzen.

 

Die "Ermita" in Margalef ist für mich schon immer ein magischer Ort und so wollte ich zur Einstimmung die schönsten Routen ein weiteres Mal klettern. Es war wochentags und glücklicherweise verhältnismäßig ruhig. Die Kletterei immer noch genauso schön und spektakulär, wie bei meinen ersten Besuchen. Die einst so scharfen und hautfressenden Löcher sind inzwischen etwas glatter geschmirgelt. Bei einem längeren Aufenthalt durchaus ein Vorteil. Ist die Haut an den mittleren Fingergliedern durch, wechselt man hinüber nach Siurana. Dort klettert man, zumindest in den schwereren Routen vorwiegend an den Fingerspitzen.

Siurana - La Reina de las Regletas.

Die Königin der Leisten, wie die Spanier sagen.

Du fährst die steile Straße hoch, vorbei an all den berühmten und bekannten Sektoren. Du siehst das tiefe Blau des Himmels über den grau-orange leuchtenden Felsen und weist genau: Das wird wieder einer dieser unvergesslichen Tage in deinem Leben. Die Qualität des Gesteins ist exceptionell. Die Routen und Kletterei natürlich ebenfalls. Glücklicherweise wurde dies von den Massen erst sehr spät erkannt. Doch inzwischen heisst es natürlich auch hier: Die Wochenenden und Ferienzeiten meiden. Oder hinüber wechseln ins Montsantgebirge. Dort halten die langen Zustiege die meisten fern. Und man kann Weltklasselinien mit bis zu 50 m Länge in aller Stille genießen. Wo gibt es das sonst noch?

Im Sektor Barrots warten inzwischen sogar einige neue Touren auf Wiederholer.

Für die nächsten beiden Wochen kündigte der Wetterfrosch Temperaturen von über 20 Grad an. Eindeutig zu warm um in der Sonne zu bruzeln. Also doch frühzeitig nach Chulilla?

Es nützt ja nichts! Auf ins Weihnachtsgetümmel. Glücklicherweise gibt es auch dort Sektoren, wo man dem Trubel aus dem Weg gehen kann. Aber dafür halt über eine üble Schotterpiste 5 km fahren muss. Dazu sind im Sektor Cherales die Touren noch wenig abgenutzt, während in vielen anderen das Verfalldatum längst überschritten wurde. Noch nie in meinem Kletterleben habe ich so viele Campingfahrzeuge und Menschen in einem Gebiet gesehen. Zeitweise standen dort über 200 Busse rund um den pitoresken Ort. Das kann nicht lange gut gehen. Und so wird auch dort der Klettertross eine Spur der Verwüstung hinterlassen und weiter ziehen.

Höchste Zeit also wieder einmal Ausschau nach neuen Gebieten zu halten. Alzira ist so eines. Zwar nicht neu aber anscheinend nicht auf dem Radar internationaler Kletterer. Außer bei einem Langzeiturlauberkletterpärchen aus der Fränkischen. Wie klein die Welt doch ist...

Ähnlich wie in Chulilla klettert man zwischen Palmen und kann sich an den vielen leuchtenden Orangen gar nicht satt sehen und essen. Der Fels ist größtenteils ursprünglich rau, es gibt viele Neutouren und die älteren wurden bereits mit solidem Hakenmaterial saniert. Nachdem es in der Region sowieso viel neues zu entdecken gibt, ist der "Tallat Roig" auf jeden Fall, "Inshallah", einen weiteren Besuch wert.

Der Höhepunkt war nun längst überschritten und wir zählen bereits die Tage rückwärts. Ein Gedanke, den man besser schnell verdrängt.

Am liebsten hätte ich die letzten Tage in den höher gelegenen Pyrenäengebieten verbracht. Doch nach diesen warmen Tagen und Nächten wollte der Kopf sich nicht so recht darauf einstellen. Und nachdem ich die frohe Kunde vernahm, dass die einst so übel zugerichtete Piste zum Raco de Missa restauriert wurde, war ein Besuch abgemachte Sache, um hier nochmals ein "Best-Of" der Touren zu genießen.

 

Genau wie zuvor in "El Falco". Einem längst "verlassenen" Gebiet mit Traumtouren, gegenüber von Siurana.

Mit dem ersten Nebelvormittag kamen auch die Tage der Rückreise. Schweren Herzens, nachdenklich und mit einem Seufzer und etwas Pippi in den Augen rollte der Bus Richtung Norden.

Stille! Die Gedanken waren noch bei den Sonnentagen. Der "leblose" Körper schon auf dem Weg zurück.

Diese Tage sind pures Gold und unlöschbar auf der Festplatte gespeichert. Doch irgendwie kommt es mir gerade so vor, als ob ich mich auf einer sehr langen Abschiedstournee befinde. Ganz gleich ob in den Alpen oder beim Sportklettern. Ich habe viel gesehen, alle Register gezogen, die ich nur ziehen konnte. Mein Leben in den vollsten Zügen genossen. Jeden einzelnen Tag. Jeden Zug, jede Leiste. Es waren viele "perfekte" dabei. Und andere wenige Tage, an denen man besser einen Kaffee trinken geht. 

 

"Wirklich oben bist du nie" - wie Reinhard Karl schrieb. Die Bedeutung dieses Satzes wird mir erst jetzt langsam so richtig bewusst. Als Ausgleich für das Alter bekommt man Erfahrung. Nur damit rette ich mich über so manch wacklige Stelle. Beim Klettern, wie im "richtigen" Leben.

Aber das ist eigentlich schon wieder ein weiterer Artikel, der in meinem Kopf herumgeistert.

 

Hasta luego companeros!

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